L A U D A T I O N E S
Prof. Dr. Helge Bathelt, M.A.
Claus Knobel, Die Australien Bilder,
Beitrag nach einer Laudatio, gehalten in Stuttgart Bad Cannstatt im Februar 2013 von Prof. Dr. Helge Bathelt, M.A.
​
Kunstwerke sind eine Folge von Anregungen unterschiedlichster Art, die in einen Gestaltungsprozess münden, an dessen Ende das Werk als Synthese steht. Die Anregungen sind wie die Ergebnisse unterschiedlichster Art. Claus Knobel ist einer, der weite äußere Wege auf sich nimmt: um auf ein Wesentliches zu stoßen, dem er eine sprechende Form gibt. In seiner Formfindung ist er nicht eindimensional auf einen Ausdruck oder Stil fest gelegt: sondern folgt dem Anspruch, der aus dem beobachteten Erkannten kommt und entwickelt dazu eine angemessene Form: seine persönliche Variante von „form follows function“.
​
In einer umfangreichen Bildfolge hat er seine Australienerlebnisse aufgeschrieben und ist zu den Quellen des Kontinents bei der Aborigines vorgedrungen. Zwischen Existenz und Essenz weiß er zu unterscheiden und reflektiert auch auf ein Gemeinsames, das die Welterfindung des Urvolkes mit einer eigene kulturellen Kodierung in erstaunlicher Weise verbindet. Deshalb stehen auch zwei Zitate am Anfang, die im Unterschiedlichen doch ein erstaunlich Ähnliches aufweisen. Sie sollen uns auf dem Weg in die Kunst Knobels begleiten.
​
Rainer Maria Rilke, Drittes Sonett für Orpheus, geschrieben als ein Grab-Mal für Wera Ouckama Knoop, Château de Muzot im Februar 1922
​
„Ein Gott vermags. Wie aber, sag mir, soll
ein Mann ihm folgen durch die schmale Leier?
Sein Sinn ist Zwiespalt. An der Kreuzung zweier
Herzwege steht kein Tempel für Apoll.
Gesang, wie du ihn lehrst, ist nicht Begehr,
nicht Werbung um ein endlich noch Erreichtes;
Gesang ist Dasein. Für den Gott ein Leichtes.
Wann aber sind wir? Und wann wendet er
an unser Sein die Erde und die Sterne
Dies ists nicht, Jüngling, daß du liebst, wenn auch
die Stimme dann den Mund dir aufstößt, — lerne
vergessen, daß du aufsangst. Das verrinnt.
In Wahrheit singen, ist ein andrer Hauch.
Ein Hauch um nichts. Ein Wehn im Gott. Ein Wind.“
​
Bruce Chatwins Reiseberichte und Reportagen machten ihn in der ganzen Welt berühmt. In seinem Roman „The Songlines“ - „Traumpfade“ erzählt er:
​
„Traumpfade“, das sind nach dem Glauben der australischen Ureinwohner die labyrinthischen Linien und gedachten Wege, an denen entlang die legendären Ahnen der Traumzeit über den Kontinent wanderten und singend alles benannten, was ihre Wege kreuzte - Vögel, Tier, Pflanzen, Felsen, Wasserlöcher - und so die Welt ins Dasein sangen... Wenn man die Erde verwundet, verwundet man sich selbst... und wenn andere die Erde verwunden, verwunden sie dich. Das Land sollte unberührt bleiben: so wie in der Traumzeit, als die Ahnen die Welt ins Dasein sangen.“
​
Knobel, so wie er einem Anderen begegnen möchte, weiß für eine geglückte Begegnung eine Sensibilität zur Voraussetzung, die das Betrachtete als ein Solches und Selbständiges wahrnimmt und weiß, dass der eigene Ausgangspunkt kein Überlegenes darstellt, nur weil dieser Ausgangspunkt sich durch die auf ihm beruhenden Erfolge meint ausweisen zu können.
In Knobel finden wir einen vor allem geistig Reisenden, dem auf seinen langen Australienexkursionen dreierlei beschäftigt hat, nämlich erstens die Suche nach dem Ursprünglichen des Kontinent, zweitens nach dem, ob von diesem Ursprünglichen etwas geblieben ist und drittens, was die Konfrontation jenes Ursprünglichen mit dem Zerstörerischen unserer Welteroberung für Spuren hinterlassen hat.
Ursprüngliches, Gebliebenes und Zerstörtes als Stufen einer zum Beispiel politisch fundierten Auseinandersetzung des Bildautors mit seinem Reiseziel betrachten zu wollen, führte m. E. an der besonderen Begegnungsqualität Knobels vorbei. Außerdem wiese es sich dann in einem kritischen Charakter seiner Kunst aus, einer Kunst, die aber stattdessen absolut offensichtlich für jeden Betrachter in ihrem Tiefenraum, in ihrer Verklärung des Konturs, in ihren skripturalen Elemente und in ihren feinsinnigen gerade auch farblichen Irritationen eines scheinbar Wirklichen unter die angepasste Oberfläche des Heutigen zielt und die Geister der Ahnen jener beschwört, die das Land einst singend geschaffen haben und deren Nachfahren den Gesang noch in sich tragen, überdeckt freilich von den Spielsalons und Bars, dem allüberall aufdringlichen Straßenverkehr, an dem sich Knobel aber rächt, indem er ihn in Schichten vertreibt, die allen Lärm weg blenden, die Aborigines in ihrer - am Äußeren gezeigten - Anpassung zwar belassen, ihnen aber die Würde, sichtbar gemacht in ihren Physiognomien, zurück geben, in den eindringlich - farbabgewandten Portraits Knobels, in denen ihr Herkommen sichtbar wird.
Natürlich ist Claus Knobel mit der Kamera unterwegs gewesen und hat tausende von Aufnahmen mitgebracht. Er hat sich durchforstet auf der Suche nach dem, was von den Traumpfaden vielleicht doch noch geblieben ist. Diese Suche hat schließlich zu einer Fotoarchäologie geführt. Seine fotografischen Vorlagen hat Knobel ausgewertet und zwar genau so lange, bis er Partikel dessen entdeckt hat, was einmal das Wichtige gewesen war, was sich dem Zugriff in schneller Flucht zu entziehen versucht und deshalb auch nur als Schemen fest gehalten werden kann, eine Insel nur flüchtiger Erkenntnis bildet, mehr bloße Ahnung bleibt und gleich wieder vorbei ist: und dabei auch die Frage danach hinterlassen kann, was im Bild authentisch ist oder exemplarisch von einem dadurch nur scheinbar Gesicherten abweicht. Im Portrait einer Hundertvierjährigen zum Beispiel, einer Erblindeten, fast schon auf ihrem Totenbett, hat Knobel einen solchen Augenblicks eingefangen, der über die Existenz der Abgebildete hinausweist und die Ehrwürdigkeit ihrer Ahnen erinnert, die einst singend und Wege bildend und pflegend eine intakte und in sich ruhende Welt geschaffen hatten.
Knobel lässt von der Leinwand seiner Malfläche kaum etwas übrig. Seine Grundierung schafft eine erste plane Ebene. Hier kommen skripturale Elemente zu Geltung, Sie sind Zeichen der gründlichen Beschäftigung Knobels mit dem Gegenstand seines Interesses, sind Literaturarbeit in klassischen Sinne. Geschützt von einer ersten Schicht dünnster Seide beginnen nun auf ihr Fassungen, die Teile der fotografischen Notizen in Malerei übersetzen. Auf der nächsten Seidenschicht wird ein Ambiente angefügt, das Zeit und Ort zitiert. In nächsten Schichten folgt die Figur. Zwischen den Schichten wird durch Freimachung eines Früheren schließlich ein Gesamtes hergestellt. Eine bezeichnende aber vor allem zurückhaltende Farbigkeit verweist auf die Fragilität im Dargestellten.
© beim Autor. Text für Veröffentlichung durch den Künstler frei gegeben.