L A U D A T I O N E S
Wolfgang Till Busse
Unterwegs im Land der Dreamtime
Von Wolfgang Till Busse
Kunsthistoriker, Museumspädagoge
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Laudatio Anlässlich der Ausstellung am 11.01.2013 in Köln
Stille Klänge – Laute Weise
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Insgesamt drei mal ist Claus Knobel bislang im Inneren Australiens unterwegs gewesen, in den sogenannten Outbacks, wo es bis zu einer Wasserstelle manchmal recht lange, bis zur nächsten Kneipe manchmal 100 Meilen dauern kann. Mit einem Motorrad tourte er durch die unwegsamen Gegenden und suchte den direkten Kontakt zu den Aborigines, schaffte es sogar, Eintritt in Touristen eigentlich nicht zugängliche Reservate zu finden. So hat er wie nebenbei auf diesem Weg in ein fernes Land auch eine Reise nach innen angetreten, deren Verästelungen sich in den Kartographien seiner Gemälde spiegeln. Knobels Motorradtouren haben ihn in unterschiedliche Weltgegenden gebracht, nach Korsika, in die Outbacks, werden ihn bald wohl bis nach Namibia führen. Es sind immer wieder Plätze, die in Kontrast zu unserer verstädterten, überzivilisierten und verplanten Welt stehen; es sind Orte, die dem Reisenden unvorhergesehene Richtungen und dem Künstler unversehens plötzliche Wendungen diktieren können. Bei jeder Reise hat Knobel andere Themen entdeckt und damit andere Stile und Ausdrucksformen entwickelt, die diesen Sujets angemessen erschienen.
Die früheren, fast abstrakten Australienbilder Knobels basieren auf Erfahrungen der Landschaft und greifen auf die Texturen und Farben des Outbacks zurück. Hier treffen die wasserblauen Töne im Inneren einer Höhle auf wenige Grünpartien und auf rostbraunen Sand, der auf die Maloberfläche aufgebracht wurde. So entwickeln diese Arbeiten auch eine ungemein haptische Eigenart, die sie mit einer älteren, in Korsika entstandenen Werkgruppe noch gemeinsam haben. Hier spielen Brechungen und doppelte Spiegelungen, streifenartige Strukturen eine gewisse Rolle und erzeugen eine Mehrschichtigkeit, die schon auf die hier vor allem ausgestellten Arbeiten der vergangenen vier Jahre verweist. Die Streifenstruktur, die Farbenwahl und die Materialität der Farbe verweisen entfernt auf die späten, vorkubistischen Landschaftsgemälde Cézannes.
Einige Arbeiten zeigen Interieurs, etwa einen alten Zug aus der Kolonialzeit, in dem die Lichtverhältnisse auf den Kopf gestellt worden sind, weil das Licht der durch diese Kolonialzüge unterworfenen Landschaft hier von allen Seiten hineinströmt und das Abteil okkupiert. Hier spielt Knobel mit den durch das irreale Licht erzeugten Symmetrien, indem er einfach auf einer Seite die Stützen der Sitzbänke fortlässt.
Im Outback entstanden sind auch die Innenansichten von sogenannten Roadhouses, die in ihrer Gelassenheit und Stille an Bilder Edward Hoppers erinnern. Hier stehen hartgesottene Trinker schon um 10 Uhr morgens in einer Selbstvergessenheit und einer Zeitvergessenheit, die vielleicht nicht nur dem Alkohol, sondern auch dem Ort in the middle of nowhere geschuldet sein mag. Den eigentlichen Kern des Bildes bilden die überscharf dokumentierten Klinken der Kühlschranktüren, hinter denen sich die begehrten Bierchen verbergen. Knobel, der unter seine künstlerischen Vorbilder sicherlich auch Jan Vermeer zählen darf, arbeitet hier mit bewusst willkürlich gesetzten Schärfen, Unschärfen und Glanzlichtern, die es ihm erlauben, den Blick des Betrachters auf ihm wichtige Details zu lenken. Gerade in diesen unwirtlichen Schänken scheint die Zeit innezuhalten wie in einem trüben stehenden Gewässer.
Der Maler legt seine neueren, meist 2009 entstandenen Gemälde in der Regel in vier Schichten an. Auf einer hellen Grundierung entstehen intuitive Zeichnungen, die unter anderem an anatomische Studien erinnern. Vielleicht denkt man auch an Kartierungen von Wasseradern, welche die Leinwände zusammen mit geschriebenen historischen Notizen, persönlichen Gedanken und reisebiographischen Informationen netzartig überwuchern. Diese aus dem Bauch heraus entstandene Ecriture Automatique hat in ihren Verästelungen eine gewisse Ähnlichkeit mit Arbeiten Bernhard Schultzes, ist aber wesentlich graphischer und damit präziser.
Dazwischen erstrecken sich leere Flächen, Brachen, die sich in einem geduldigen, handwerklich soliden Prozess allmählich mit mehreren Bildschichten und Sinnebenen füllen. Die Vorlagen dieser Airbrush-Malereien sind Fotos, die der Maler allerdings oft bewusst verändert und verfremdet. Die Airbrushtechnik ist recht typisch für die Generation der Hyper- oder Photorealisten, die Anfang der 1970er Jahre eine Renaissance des Handwerklichen in der Moderne einläuteten.
So tränkt er Seidentücher in Akryl und legt sie in mehreren Schichten über dieses skelettartige zeichnerische Gerüst seiner Arbeiten; die Spritzpistole füllt die Leinwand mit Bildmotiven, die dann wiederum mit einem weißlichen Schleier überzogen und abgeschliffen werden. Diese sehr eigenwillige, der traditionellen europäischen Lasurmalerei nachempfundene Technik lässt Bilder voller Widersprüche entstehen. Auf diesen Flächen kommunizieren eine im Grunde abstrakte und eine gegenständliche Leseebene miteinander. Die verschiedenen abgeschliffenen Schichten bilden durch die Sättigung mit Binder perlartige oder streifenartige Strukturen heraus, die sich dann wie ein weiterer Schleier über das erzählte Motiv legen. Oft ergibt sich ein schroffer Gegensatz: einerseits die wie im Halbschlaf erzeugten organischen Gewächse und Texte in der Tiefe der Arbeiten, die dann mit unvermittelter Schärfe im Vordergrund zu schweben scheinen; andererseits die Kälte kapitalistischer Paläste: Bankenfoyers, leicht protzige Ladenfronten eines Juweliers, Cafés des Gründungsbooms der Zeit um 1900. Alles unter einer spiegelglatten, scheinbar kalten Oberfläche, während sich in der Tiefe wie in der Traumzeit der Aborigines entstandene rätelhafte Partituren unbekannter Melodien abzeichnen. Knobel greift in diesen Palimpsesten das Übereinanderlagern zweier gegensätzlicher Kulturschichten auf. Tatsächlich sind die Erzählungen der Aborigines immer wieder mit bestimmten, von besonderer Energie geprägten Orten verbunden, die man in Europa vielleicht als heilige Plätze bezeichnen würde – und die Bilderkunst der Aborigines erzählt immer wieder von existentiell wichtigen Geschichten, die sich dort zugetragen haben und von Wegen, die zurückzulegen waren. Vielleicht sind Knobels Verästelungen und schriftlich fixierte Gedankten Reflexe auf diese Form von Kunst. Er legt jedoch darüber das nun unsere Welt und damit auch Australien beherrschende Superstrat, die glatten Welten des Westens und westliche, geschichtslose Gesichter, aalglatte Schatten, die oft telefonieren - mit dem omnipräsenten Handy in der Hand.
Eine im Gegensatz zu diesen Arbeiten stehende Gruppe sind die schwarz-weiß gehaltenen Porträts von Aborigines. Die Gesichter der Porträtierten werden ebenfalls mit spontan-intuitiven Unterzeichnungen kombiniert. Sie stehen in ihrer Konkretheit in schroffem Gegensatz zu den westlichen Motiven und zu den dem Betrachter entgleitenden Figuren der anderen Werkgruppe; im Gegenteil erschient hier jedes Anlitz wie eine raue Kartierung menschlichen Verfehlens und Leids, jedes Gesicht wie ein wüster, trockner Kontinent voller Schrunden und Schluchten, in dem vorbeiziehende Katastrophen ihre Pfade hinterlassen haben.
Knobel musste irgendwann durch eine Aborigine-Siedlung mit dem Motorrad fahren, da es Probleme mit den Stoßdämpfern gab. So ergaben sich plötzliche Kontakte zu den Bewohnern eines Altenheims, die er kennen lernen und fotografieren konnte und deren Geschichten er dann allmählich erfuhr. So erzählten sie ihm von Genozid und Kulturzerstörung, vom Verlust der Eltern und erzwungener Sesshaftwerdung, von Suff und Drogen und Armut.
Auf einem der farbigen Bilder erzählt Knobel in einer Textpassage, wie eine eigenständige moderne Malerei der Aborigines begann. Kunst kann für einige Menschen ein Ausweg aus der sozialen Misere werden, aber auch diese westliche Form der Erzählung ist das Ergebnis eine Akkulturationsprozesses, in dem zum Beispiel westliche Sozialarbeiter den Pintubi das Malen von Tafelbildern als eine Art Beschäftigungstherapie nahebrachten – neu in einer Kultur, die zwar auf Felsen und Dächern, auf Haut und Erde, aber bislang nicht auf Leinwand gemalt hatte.
Ein Gemälde, in dem sich die beiden sehr unterschiedlichen Werkgruppen treffen, ist die Studie eines barfuß durch eine Siedlung im Outback schlurfenden älteren Mannes. Knobel hat bei diesem Bild sehr mit sich gerungen, weil der hier konstruierte Kontrast ihm zunächst als zu plakativ erschien, ihm die Aussage des Bildes aber doch wichtig war. Man könnte die Haltung des Spaziergängers einerseits als etwas hilflos und abwesend deuten, andererseits scheint er gelassen und unberührt oder ungerührt durch seine Umwelt zu schlendern. Hinter ihm erscheint als Folie ein Schaufenster, indem für Hot Jobs geworben wird, für eine Arbeit als Soldat. Der vermeintlich sichere Job als Söldner wird hier als Möglichkeit der Rettung aus gesellschaftlicher Isolation und wirtschaftlichem Elend beworben und doch schlendert der weißhaarige Alte aus dem Bild hinaus, wissend vielleicht, dass hier mit Lügen nach Kanonenfutter gesucht wird. Ähnliche Plakate warben in Alabama für Afghanistan oder werben heute in Uganda für im Irak operierende sogenannte Sicherheitsfirmen.
Es scheint, als ignoriere der alte Flaneur den faulen Zauber dieser kolonisatorischen Strategie und erwarte, dass er bald vorbei ziehe, wie so vieles in der 40 000 jährigen Geschichte dieser Völker.
Claus Knobel hat hier versucht, einem bestimmten kulturellen Konflikt entsprechend eine in sich widersprüchliche Bildsprache zu entwickeln, die abendländische Feinmalerei von Van Eyck bis Chuck Close mit Einfühlsamkeit und traumwandlerischen Formen der Bildfindung vereint. Trotzdem halten sich die Bilder im Gleichgewicht erzeugen neben dem Staunen vor der Virtuosität der Sache Momente des Schwebens und der Stille.
© Dr. Wolfgang-Till Busse
Kunsthistoriker, Museumspädagoge
Siebachstraße 6
50733 Köln